Der italienische Pädagoge Loris Malaguzzi (1920–1994) prägte den Begriff vom „Raum als dritten Pädagogen“. Er vertrat die Auffassung, die Mitschülerinnen und Mitschüler seien der erste und der Lehrer lediglich der zweite Pädagoge, an dritter Position folge der Raum. Dass eine ansprechende Gestaltung der Lernumgebung die erfolgreiche Aufnahme von Wissen und die Entwicklung der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen fördert, wird niemand bezweifeln. Umso mehr verwundert es, dass die meisten Schulbauten noch heute so aussehen, wie wir sie in Erinnerung haben. Hinzu kommen – angesichts des anhaltenden Sanierungsstaus – bröckelnder Putz, undichte Dächer und Toiletten mit Ekelfaktor. Die allermeisten Schulen sind nicht nur nüchterne, sondern häufig auch sehr in die Jahre gekommene Gebäude.
Schule bauen: Zeit für neue Konzepte
Die Institution Schule hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Die Zahl der Ganztagsschulen nimmt zu, der Frontalunterricht wird vom Lernen in Gruppen und in Einzelarbeit begleitet, digitale Tools wie Tablets und Whiteboards ergänzen Schulbücher und Kreidetafeln, um nur einige Beispiele zu nennen. Außerdem hat die Coronapandemie den Ruf nach baulichen Veränderungen verstärkt. Der Wandel stellt Pädagogen, Schulträger und Behörden vor große Herausforderungen. Wie soll eine Schule heute aussehen? Welches Raumangebot ist erforderlich? Für Architekten ergeben sich spannende Aufgaben. Wir bei Vollack übersetzen pädagogische Konzepte in zukunftsweisende Lernwelten und entwickeln, planen und bauen den „Raum als dritten Pädagogen“ neu. Ein Beispiel: der Campus der Cologne International School – Internationale Friedensschule Köln am Butzweilerhof.
Cologne International School – Internationale Friedensschule Köln: Schule bauen als Campuskozept
Im Sommer 2022 werden die Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte ihre neue, nachhaltige Lern- und Arbeitswelt erobern. Sie bietet bis zu 650 Lernenden sowie 150 Lehrkräften und Beschäftigten Platz. Auf einem Campus von 19.000 Quadratmetern Fläche entstehen in Köln eine internationale Schule, die bilinguales Lernen von der ersten Klasse bis zum Schulabschluss wahlweise mit deutsch- oder englischsprachigem Schwerpunkt anbietet. Ergänzt wird das Angebot durch ein Internat sowie einen Kindergarten. Der Neubau setzt das Lernkonzept der privaten Ganztagsschule um und verfügt über flexible Lern- und Spielumgebungen, moderne Räume für Naturwissenschaften, Musik und Kunst sowie als Treffpunkt eine offene Mensa und Aula mit Bibliothek und eine Sporthalle.
Identifikation von Anfang an
Die neue Lernwelt haben wir in engem Austausch mit den Lehrenden und Lernenden entwickelt. Schließlich wissen diese besonders gut, in welcher Umgebung sie arbeiten und lernen möchten. Wir waren beeindruckt von der Begeisterung der Kinder und Jugendlichen für das Zukunftsprojekt. Im Workshop, der Ende 2017 stattfand, zeigte sich ganz deutlich, dass an der Cologne International School viel Wert auf projektbezogenes Arbeiten gelegt wird. Die Wünsche und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler zu kennen, war eine wertvolle Basis für dieses Projekt und unsere Arbeit.
Workshop zum Start: Wünsche und Bedürfnisse der Lehrenden und Lernenden kennenlernen
Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Blick
Ein Fokus liegt auf Nachhaltigkeit, Umwelt- und Tierschutz. Zum Campuskonzept zählt deshalb neben dem Erhalt möglichst vieler Bestandsbäume ein Schulwald mit Säuleneichen, Winterlinden und Obstbäumen, die neu gepflanzt werden. Für heimische Vögel und Fledermäuse gibt es Nistkästen, die gut sichtbar an dem vorhandenen Baumbestand angebracht sind. Ein Freiluft-Naturlernzimmer und eine große Anzahl naturnaher Outdoor-Spiel- und Sportmöglichkeiten runden das Angebot ab. Für Energieeffizienz sorgt künftig eine Photovoltaikanlage. Sie wird auf den Dächern der Sporthalle, der Aula und der Mensa installiert und jährliche CO2-Einsparungen von bis zu 30 Tonnen erzielen. Wir haben den Neubau zudem als KfW-Effizienzhaus 55 mit dreifach verglasten Fenstern und aktiver Lüftungsanlage geplant. Denn für den reibungslosen Betrieb war in der Planungsphase nicht nur eine gute Wärmeisolierung wichtig. Mit Blick auf die Folgen des Klimawandels und die Erfahrungen aus der Pandemie war sicherzustellen, dass auch im Hochsommer angenehme Temperaturen und ein kontinuierlicher Luftaustausch in den Lernräumen gesichert sind.
Wohlfühlatmosphäre für die Kleinsten
Spielen, toben und lernen oder sich einfach zurückziehen – dafür brauchen auch die Kleinsten Räume, in denen sie sich wohlfühlen. In der Kindertagesstätte Oberlinhaus in Potsdam tun die Mädchen und Jungen all das in einem ressourcenschonenden Holzbau. Das zweigeschossige Gebäude eröffnet für 95 Kinder durch zahlreiche bodentiefe Verglasungen immer neue Perspektiven: Sie schauen auf benachbarte Gebäude, über Wiesen und Felder, auf den neuen Abenteuerspielplatz und fühlen sich wie in einem Baumhaus, weil ihr Blick in die Kronen des alten Baumbestandes fällt. Neben einer Vollküche für täglich frische Mahlzeiten bietet die Kita Räume für Sport, Medienpädagogik und Musik. In einem Forscherraum für naturwissenschaftliche Experimente und Entdeckungen können sie nach Herzenslust ihren Wissensdurst stillen. Obst und Gemüse warten im Garten darauf, von den Kids geerntet und anschließend in der Kinderküche verarbeitet zu werden. „Boah!“ und „Wie cool!“ – das waren die ersten Reaktionen der Kleinen, als sie ihre neue, nachhaltige Spielt- und Lernwelt erobert haben. Die schönste Bestätigung für unsere Arbeit, finden wir.
Kindertagesstätte Oberlinhaus in Potsdam: nachhaltige Spiel- und Lernwelt für die Kleinsten
Fazit: Schule ist heute so viel mehr als Wissensvermittlung in einem rein funktionellen Gebäude.
Der deutsche Schulpädagoge und -reformer Otto Seydel hat zwölf Thesen zum Bau einer zukunftsfähigen Schule entwickelt. Eine bringt es besonders gut auf den Punkt, was Schule bauen bedeutet: „Ganztagesschule heißt Lernen, Toben, Verweilen, Reden, Essen und vieles mehr – in einem gesunden Rhythmus.“ Die Passion von Vollack ist es, Arbeitswelten mit Zukunfts-Gen entstehen zu lassen, die Menschen ermutigen und Möglichkeiten eröffnen. Wenn es um Schule bauen und Kindertagesstätten geht, ergänzen wir Arbeitswelten gern durch Lern- und Lebenswelten. Die Schulzeit ist die vielleicht prägendste Zeit in unserem Leben. Daraus erwächst eine große Verantwortung für uns als Architekten und Planerinnen – diese Verantwortung nehmen wir mit Begeisterung an.
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